Nachfolgend werden Reaktionen aus dem Kollegenkreis aufgelistet, vorläufig ungewichtet, in der Reihenfolge, in der sie eingehen. Die neusten stehen zuoberst, der Wechsel des Einzugs signalisiert den Beginn eines neuen Votums.
Um die Gesamtbeurteilung vorweg zu nehmen: Ich bin ich mit dem jeweils ersten Teil „Wir bekennen“ meistens einverstanden. Den zweiten Teil, die Abgrenzung, finde ich hingegen oft unverständlich oder teilweise falsch. Ich weiss da oft nicht, gegen was sich die polemische Spitze konkret richtet, und das erzeugt ein ungutes Gefühl.
Ich bezweifle, ob es mit diesem Bekenntnistext gelungen ist, „eine Sprache zu finden, um die Entwicklungen der Zeit vollmächtig zu deuten und dem Evangelium in einer breiteren Öffentlichkeit Aufmerksamkeit schaffen“ zu können.
Nun zu den Bemerkungen im Detail:
Zu 1) Damit bin ich einverstanden.
Zu 2) Mit dem ersten Teil, dem positiven Bekennen, bin ich einverstanden. Mit dem zweiten Teil, dem „wir glauben nicht“, bin ich zwar theoretisch einverstanden, weiss aber nicht, wogegen es sich alles richtet. Ich glaube tatsächlich nicht, dass „charismatische Erfahrungen, persönliche Entscheidungen und mystische Erkenntnisse genügen„, glaube aber, dass diese zu einem Leben im Glauben dazu gehören.
Zu 3) Mit dem „Wir bekennen“ bin ich zwar einverstanden, aber beim Abendmahl ist mir der Aspekt der Gemeinschaft mit Christus und untereinander sehr wichtig. Es geht beim Abendmahl nicht nur um die Vergebung.
Beim „Wir glauben nicht“ weiss ich nicht, gegen was es sich richtet.
Zu 4) Beim „Wir bekennen“ habe ich den Satz unterstrichen: „Geleitet vom heiligen Geist wollen wir danach streben, den hohen Weg der Liebe zu gehen, die nicht das Ihre sucht.“ Das gefällt mir besonders. – Ich nehme an, Ihr meint nicht, dass die Liebe Gottes nur durch die Worte der Bibel zu uns spricht und nur auf den Weg des … Erkennens führt. Das wäre eine unverständliche Einengung.
Beim „Wir glauben nicht“ muss ich kritisch anmerken: Auch das Verständnis, dass die Bibel Gottes Wort ist oder enthält, ist ein theologisches Vorverständnis. – Will sagen, wir gehen immer mit einem philosophischen oder theologischen Vorverständnis an das Evangelium heran bzw. hören es mit einem solchen. – Zudem ist klar, dass die Naturwissenschaft und die biblischen Worte nicht „wahrer“ oder „weniger wahr“ sind, sondern Antworten auf unterschiedliche Fragestellungen geben. In der Naturwissenschaft geht es um die Erklärung der Natur, bei den biblischen Worten um die Deutung und den Sinn der Welt.
Zu 5) Das gefällt mir gut.
Zu 6) Mit dem „Wir bekennen“ bin ich einverstanden. Das „Wir glauben nicht“ verstehe ich nicht.
Zu 7) Mit dem „Wir bekennen“ bin ich einverstanden. Beim „Wir glauben nicht“ bin ich überzeugt, dass die Zusagen des Evangeliums sich innerweltlich anfangen zu verwirklichen, dass sie es aber in der Ewigkeit bzw. in Gottes Reich vollkommen tun.
Zu 8) Mit dem „Wir bekennen“ bin ich einverstanden. Beim „Wir glauben nicht“ muss ich fragen: Warum muss man dem widersprechen, dass das Evangelium den Ausbau des Sozialstaates fordert? – Ich bin sehr dankbar für den Sozialstaat, solange er funktioniert und das Mass einhält, und bin überzeugt, dass es ihn ohne das Evangelium nicht gäbe. – Weiter bin ich überzeugt, dass der Sozialstaat seinen Auftrag nur erfüllen, solange er Beamte und Angestellte hat, die ihre Aufgabe mit Barmherzigkeit ausüben. Darum ist es wichtig dafür zu sorgen, dass die Barmherzigkeit nicht erkaltet, wie es im „Wir bekennen“ heisst.
Zu 9) Damit bin ich einverstanden.
Zu 10) Ich bin nicht damit einverstanden, dass Gott sich von den Sündern abwendet. Jesus ist ja gerade zu den Sündern gekommen, um sie zu retten. Er hat zwar zur Umkehr aufgerufen, doch die grossen Umkehrgeschichten im Neuen Testament wie z. B. die Bekehrung des Zachäus beginnen nie mit einem drohenden Aufruf zur Umkehr.
Mit dem Abschnitt „Wir glauben nicht“ bin ich hingegen einverstanden.
Zu 11) Im Abschnitt „Wir bekennen“ bin ich zwar einverstanden damit, dass wir im Kreuz Christi eine Trostquelle finden, aber in der Praxis helfen mir persönlich vor allem die Seligpreisungen, die ich regelmässig bete, wenn ich gekränkt oder bedroht werde. (Die Seligpreisungen und die Bereitschaft Jesu, Leiden anzunehmen, gehören theologisch zusammen.)
Mit dem „Wir glauben nicht“ bin ich schon einverstanden, aber ich möchte hinzufügen, dass der, der leidet, nicht alleine gelassen werden darf. Leid soll geteilt und gemeinsam getragen werden. M. a. W. der Satz ist „tönendes Erz“, wenn die Liebe fehlt.
Zu 12) Mit dem „Wir bekennen“ bin ich einverstanden. Im zweiten Abschnitt „Wir glauben nicht“ muss ich aber sagen, dass ich ein differenziertes Problembewusstein sehr wichtig und hilfreich finde.
Zu 13) Zu „unser Denken der Kritik des Evangeliums aussetzen“: Ich bin damit einverstanden, wenn mit „Evangelium“ das Wort des lebendigen Gottes und nicht ein Buchstabe bzw. Dogma verstanden wird. Den Abschnitt „wir glauben nicht“ verstehe ich nicht.
Zu 14) Damit bin ich einverstanden.
Zu 15) Damit bin ich einverstanden.
zu 3:
«Wir bekennen uns dazu und glauben, dass wir getauft sind auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und im Abendmahl von Gott erinnert werden an die Vergebung empfangen, die unser Herr Christus auf dem Kreuz von Golgatha für uns erworben hat.»
Begründung:
Ich verstehe, dass diese Auffassung der Eucharistie seelsorgerlich und gemeindebildend sein soll, nur sehe ich sie nicht in der Schrift.
Zu 6:
Deshalb erachten wir es als töricht, davon abstrahieren zu wollen, dass jeder Mensch von einer Mutter geboren und einem Vater gezeugt worden ist, und wollen uns nicht vereinnahmen lassen von dem Versprechen, ein Mensch könne seine Geschöpflichkeit ändern und so sich selber ein erfülltes Leben schaffen.
Zu 7:
Wir bekennen uns zu dem Frieden Gottes, der über allem Weh der Welt und allen Streitigkeiten unter den Menschen Bestand hat. In Christus, der unser Friede ist, wollen wir Zuflucht und Versöhnung mit Gott und den Menschen suchen.
Wir glauben nicht, dass irgendjemand oder eine Macht ausser ihm die Menschen auf Dauer versöhnen und die Leiden dieser Zeit überwinden kann. Darum widersprechen wir dem Anspruch, unsere Anstrengungen könnten die Zusagen des Evangeliums verwirklichen.
Zu 8:
Wir glauben nicht, dass die Sorge für die Hilfsbedürftigen lebendig bleibt, wenn sie mit Gesetzesvorschriften, Steuergeldern und Sozialbeiträgen abgesichert zu sein scheint. Deshalb widersprechen wir allen Deutungen, der Ausbau des Sozialstaates und soziale Tätigkeit könne das Evangelium ersetzen.
Zu 9:
Dafür wollen wir dem Geben aller guten Gaben danken und uns darin üben als Verwalter seiner Gaben zu leben.
Wir glauben aber nicht, dass unsere Bestimmung ist, zuerst nach Wohlstand zu trachten.
Zu 10:
Denn wir glauben nicht, dass ein Gemeinwesen Bestand haben kann, wenn es den Unterschied zwischen Recht und Unrecht vergleichgültigt und die Unmoral triumphieren lässt. Das scheidet uns von allen, die meinen, das Evangelium könne uns nicht auch vor den Richter stellen.
Zu 11:
Wir bekennen, dass Gott leidet an dem, was wir Unrechtes tun und lieblos geschehen lassen. Aus dem Geheimnis, dass Christus für uns gelitten hat und mit uns leidet, wollen wir Kraft zur Umkehr empfangen und Trost schöpfen für alles, das uns kränkt und Angst macht.
Wir glauben nicht, dass wir ohne Leid erlöst werden können aus dem Leib des Todes. Das scheidet uns von allen, die das Leiden entwerten und davon ausgehen, die menschliche Würde bestehe im Recht auf Selbstbestimmung über Leben und Tod.
Zu 12:
Wir bekennen uns zu dem Kampf, in den der Glaube uns stellt, nämlich Christus nachzufolgen, der die Wahrheit ist.. Umso weniger wollen wir mit unseren Zweifeln kokettieren, als ob eine alles relativierenden Skepsis dem Frieden diene.
Zum Titel
Ein Bekennntnis für unsere Zeit
Ich würde auf den Begriff „postmodern“ auch mit Anführungs- und Schlusszeichen verzichten. Er bringt keine Klärung und nur diffuse Assoziation.
Zum Ingress
„uns zuverlässig lehrt“ ist zugänglicher als „kund tut“
Zu 1.
„was der Idee menschlichen Fortschritts entspricht“
Mich dünkt, hier gehöre ein Genitiv hin.
Zu 2.
„was aktuell zu begeistern vermag“
Zu 3.
Ich verstehe hier das Argument nicht. In wie fern ist es entscheidend, ob jemand sich etwas „über alles Verstehen Trostreiches gewünscht hat“?
„was eigentlich das natürliche Bedürfnis“
Auch die Vertreter dieser Position würden vielleicht zugeben, dass dieses Bedürfnis vielleicht nicht ganz offensichtlich ist.
Zu 4.
„Mit der Bitte um den Heiligen Geist wollen wir danach streben“
Das dünkt mich bescheidener als die Deklaration „Geleitet vom Heiligen Geist“
„die das Bibelwort einem philosophischen oder theologischen Vorverständnis unterwerfen oder innerhalb eines weltanschaulichen Konzeptes auslegen“
Bei den Vorverständnissen geht es ja um die grundsätzlich hermeneutischen Grundfragen, bei den weltanschaulichen Konzepten mehr um die bewusste Wahl einer weltanschaulichen Position (also z.B. grüne Exegese, fem. Exegese, etc.)
Zu 5.
„den Ruf zur individuellen Selbstverwirklichung herauslesen“
Damit klar ist, dass hier das moderne „Selbstverwirklichungsprogramm“ gemeint ist.
Zu 6.
Gibt es einen Grund, weshalb hier nur die organische Welt eine Rolle spielt?
„was uns leiblich gegeben ist“. Ich glaube, der Begriff „naturhaft“ ist problematisch.
Zu 7.
„dass die Zusagen des Evangeliums bloss innerweltlich zu verwirklichen“
Ansonsten lehnt dieser Satz kategorisch ab, dass es Zusagen des. Evang. gibt, die sich innerweltlich verwirklichen. Es gibt ja auch die Zusage „ihre werdet gehasst werden um meinetwillen“ – das ist doch innerweltlich gemeint. Vielleicht löst sich meine Frage auch, wenn man anstatt Zusage Verheissung schreibt.
„zu verwirklichen sind“ hier steht sonst – im Unterschied zur Ablehnung der gegnerischen Positionen in den anderen Abschnitten – ein Konjunktiv.
Zu 9.
„weiter mehren.“
Ist sachlicher und tönt weniger moralisierend.
Zu 11.
„dass Jesus Christus“ – es hat ja nicht „nur“ der Christus gelitten.
Zu 13.
„fundamentalistische Rechthabereien überwinden, indem sie das Bibelwort relativieren.“
Dann kann man das zweimalige „dadurch, dass“ verhindern, das mich sperrig dünkt.
Zu 15.
„vergangenen Zeiten“ denn „Zeiten der Gnade“ dünkt mich für eine Beurteilung einer nachbiblischen Zeit zu stark.
Zum Bibelvers:
Der „Einziggeborene“ (Zürcher Übersetzung) ist besser verständlich als der „Eingeborene“ (dieses Wort hat heute eine andere Bedeutung).
Zum Eingang:
Es ist ungeschickt, wenn ein Glaubensbekenntnis negativ beginnt ( „Wir glauben nicht“). Besser wäre:
Wir glauben, dass wir durch Vernunft oder Gefühl nicht zu fassen vermögen, woher wir unser Dasein haben, und dass wir wissen können, was nach dem Tod auf uns wartet.
Zu 10:
Die Aussage, dass Gott sich (als Reaktion auf unsere Sünde) abwendet, ersetzen mit der Aussage, dass wir uns von Gott abgewendet haben:
zu 10.
Den offenen Sünden soll man widerstehen und der Gerechtigkeit allweg beistehen Wir bekennen, dass wir uns an Gott versündigen und wir uns damit von ihm abgewendet haben.
Die Diskussion ums Bekenntnis finde ich ausserordentlich wichtig und ich hoffe, dass sich auch jüngere Kollegen dafür interessieren.
Es wird nicht einfach sein, den Text unter die Leute zu bringen. Als Bekenntnis im Gottesdienst ist er zu detailliert, als „Bekenntniss-Schrift“ vielleicht eher knapp – aber inhaltlich habe ich kaum etwas auszusetzen.
Zu 2, „wir glauben nicht“: Vor der „charismatischen Erfahrung“ müsste es heissen: …und dass autonom-menschliche Vernunft, charismatische Erfahrungen, persönliche Entscheidungen“ etc.
Begründung: Verstandesmässige Ideenkonstrukte und Schlüsse sind hier eine ebenso grosse Gefahr. Ich störte mich auch an der an erster Stelle genannten „charismatischen Erfahrung“ gerade im Zusammenhang von Niklaus von Flüe und möchte auch keiner zusätzlichen Grabenbildung Vorschub leisten (u.a. von „charismatischen“ und „konservativen“ Christen). In der Zusammenstellung mit der schon lange zum Götzen erhobenen Vernunft könnte ich es bejahen.
Zu 5., letzte Zeile: Es müsste „blosse Selbstverwirklichung“ ergänzt werden.
Begründung: Selbstverwirklichung ist nicht nur schlecht, so wie Selbstverneinung nicht nur gut ist (oder umgekehrt). Jesus sagt, wer sein Leben um seinetwillen verliert, der würde es finden, immerhin, während der, der es alleine für sich zu finden und selbstbezogen festzuhalten versucht, es verlieren wird. Das Thema ist komplex und kann nur mindestens dialektisch unter Beachtung der verschiedenen Blickwinkel vor Missbrauch geschützt werden.
Vielen Dank für die Kenntnisnahme! Ich wünsche Euch viel Weisheit und Gelingen im Ringen um die Formulierungen, die von Gott her für unsere Zeit richtig und notwendig sind!